Lola
Agronomische und qualitative Eigenschaften
Wilde Rauke ‘Lola’ hat ein frischgrünes, schlankes, etwas dickeres und nicht brüchiges Blatt. Eine Besonderheit ist dabei die rundliche Form in der Zahnung. Die Blätter der Rosette wachsen leicht aufrecht und eher gerade als bogig. Das macht den Bestand in Kombination mit der schlanken Blattform luftiger, trotz des eher großen Rahmens der Pflanzen. Das Schossen erfolgt spät im Vergleich zu z.B. ‘Grazia’ und weniger stark als bei ‘Jolizia’. Besonders überzeugt hat im Sommeranbau das schnelle, frischgrüne Nachtreiben der Sorte auch noch bis zum vierten Schnitt. Im gesamten Anbaujahr von Februar bis November/Dezember ist die Toleranz gegenüber Falschem Mehltau (Peronospora parasitica) sehr befriedigend, leichter Befall bei dauerhaft feuchtem Wetter kann sich oft wieder auswachsen; eine Eignung für den Anbau von Februar bis November kann empfohlen werden.
‘Lola’ ist sehr aromaintensiv und vielfältig in den Geschmacksnuancen. Die Blätter schmecken fruchtartig, mit nussig-milder Schärfe, sehr knackig und frisch. Wegen der geringen Bitterkeit bei gleichzeitig rucolatypischem Geschmack wird die Sorte auch von „Rucolaskeptikern“ gerne genossen. Laut Untersuchung mit den Bildschaffenden Methoden ist ‘Lola’ eine qualitativ sehr hochwertige Sorte mit für einen Salat sehr differenzierten, gleichmäßig und harmonisch koordinierten Bildmerkmalen. Anstelle eines Abschnürens oder Festhaltens von Substanz, ist eine fließende Verbindungen mit schwungvoll ausbreitenden und selbsttragenden Strukturen gegeben.
-
Ergebnisse aus dem Versuchsanbau
Im Versuchsbetrieb der Bingenheimer Saatgut AG wurde die Linie 2019 geprüft und für eine Testphase empfohlen. In dieser Phase wurde Versuchssaatgut an weitere Praxisbetriebe ausgegeben. Die Rückmeldungen an die Anbauberater der Bingenheimer Saatgut AG waren positiv, teils wurde bereits weiteres Saatgut erfragt, weil die Erfahrungen so gut waren. Bei einem Rucola – Sortenversuch der LWG Bamberg* im Jahr 2021 hatte ‘Lola’ den zweithöchsten Ertrag von sechs getesteten Sorten, beim ersten Schnitt den höchsten, und lag in der Gesundheit im guten Mittelfeld noch vor Sorten der Firma Enza, übertroffen von Sorten der Firma Uniseeds - für eine gärtnerische Pflanzenzüchtung ein recht gutes Ergebnis.
*T. Hedrich & B. Rascher Versuchsbetrieb für Gemüsebau Bamberg der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (2021): Rucola-Sorte 'TZ5623' zeigte sehr hohe Resistenz gegen Falschen Mehltau.URL: www.lwg.bayern.de (Abruf 13.06.2022).
-
Resultate der Qualitätsuntersuchungen
2021 wurden Qualitätsuntersuchungen mit Bildschaffenden Methoden an LOLA durchgeführt. Die als „B246“ codierte Probe stammte aus Anbau der Gärtnerei Piluweri vom Mai 2021 und wurde mit einer Probe der Sorte JOLIZIA aus demselben Satz eingesandt und verglichen. Im Untersuchungsbericht wurde heißt es:
„B246 KSV Rau PLW 12/20 (LOLA) kann als qualitativ sehr hochwertige Sorte beschrieben werden.
Die Bildmerkmale waren insbesondere für einen Salat sehr differenziert, gleichmäßig und harmonisch koordiniert in den Strukturausformungen. Ein Abschnüren oder Festhalten von Substanz konnte nicht erkannt werden, sondern eine fließende Verbindung bei allen Bildern mit schwungvoll ausbreitenden und selbsttragenden Strukturen war gegeben.“
Sensorik: „Die Blätter schmeckten scharf, waren sehr knackig und frisch. Sehr aromaintensiv und vielfältig in den Geschmacksnuancen. Fruchtartigkeit und ein leichtes Brennen waren vorhanden.“
Steigbilder: „Es zeigten sich Steigbilder ohne jegliche Stauungen oder separierende Merkmale. Harmonische, differenzierte und fließend verbundene Strukturen, die mit gleichbleibender Dynamik schwungvoll bewegt und aufrecht eine Zuchtlinie von sehr hoher Qualität zeigten.“
Kristallisationsbilder: „Ein schwungvoller, direkt aus der Mitte (dem Kristallisationszentrum) kommender Impuls in Richtung Bildrand zu gestalten zeigte die hohe Formintensität dieser Zuchtlinie. Sehr klar und prägnant ausgeprägte Nadelzüge durchstrahlten die Kristallbilder bis in den Bildrandbereich ohne dabei ihren ausbreitenden Schwung zu verlieren. Es waren weder verschwommene noch verdichtete Nadelstrukturen vorhanden, die häufig bei Rucola-Proben gesehen werden. B246 KSV Rau PLW 12/20 (LOLA) bildete eine hohe Produktqualität ab.“
-
Züchtungsgang
Auslöser der Züchtung an Wilder Rauke war eine Anfrage der Bingenheimer Saatgut AG im Jahr 2012 nach einer Neuzüchtung, die die bisher im Sortiment geführte Population WILDE RAUKE ersetzten oder ergänzen sollte, da die Anforderungen an die Kultur und auch deren Beliebtheit beständig zunehmen.
Auch in der Demeter-Gärtnerei Piluweri waren zu diesem Zeitpunkt Sorten der Firmen Enza und Hild im Anbau, um die Anbausicherheit gewährleisten zu können und die Erntemenge zu steigern.
Vor diesem Hintergrund startete Piluweri 2015 mit der Entwicklung einer neuen Sorte:
Durch die Integration des Züchtungsgangs in die biologisch-dynamisch arbeitende Gärtnerei konnten mehrmals jährlich die Eignung der Linien und die neuen Züchtungsschritte in den Erntebeständen überprüft und mit Referenzsorten verglichen werden. So wurden die im Sommer im Züchtungsbeet geernteten Samen gleich wieder ausgesät und in der Zeit mit starkem Mehltaudruck, im Herbst und Spätwinter angebaut und bonitiert.Die eigentlichen Selektionsbestände wurden als Einzelpflanzenbestände zunächst im Freiland, später im Folienhaus gepflanzt. Im gärtnerischen Anbau dagegen wurden die Pflanzen tuffweise, zu ca. 10-15 Pflanzen pro Erdpresstopf gesät und in der Anfangszeit nur einmal pro Satz beerntet. Wegen des Befallsdrucks durch Erdflöhe wurde danach im Sommer ein Dauersatz mit bis zu vier Erntegängen in einem Netztunnel zum Anbaustandard, der die 14-tägigen Pflanzungen ersetzte.
Die Zuchtziele waren durch die Anbauerfahrungen der letzten Jahre bestimmt, in denen vor allem der Falsche Mehltau die Erträge und die kontinuierliche Verfügbarkeit begrenzte. Auch die Weitung des naturgemäß kurzen Erntefensters durch spätes Schießen war wichtig. Ebenso ist ein zu dünnes, brüchiges Blatt für eine zügige Ernte ungünstig und insofern züchterisch zu berücksichtigen. Bei mehrfachem Schnitt sind Pflanzen mit anfänglich sehr stark gezähnten Blättern zu schnell blühend und zäh. Der Geschmack hatte wegen der großen Herausforderung „Mehltautoleranz“ zunächst keine Priorität. In den letzten Jahren vor dem Inverkehrbringen erfolgte im Selektionsbestand der LOLA zugrunde liegenden Linie eine geschmackliche Weiterentwicklung, in dem Pflanzen mit Fehlgeschmack eliminiert wurden.
Die Züchtungsaktivitäten im Detail:
- Im ersten Jahr (2015) wurde ein Selektionsbestand aus ca. 2.000 Einzelpflanzen der damals eher inhomogenen Bingenheimer WILDE RAUKE im Freiland gepflanzt, aus denen ca. 50 kräftige und gesunde Pflanzen ausgewählt wurden, die miteinander abblühten, von denen ca. 30 gesondert beerntet wurden.
- In einem Erntebestand desselben Jahres wurden die selektierten Nachkommenschaften gesichtet und zwölf davon für die weitere Bearbeitung ausgewählt.
- Im zweiten Frühjahr wurde bei einer weiteren Sichtung noch einmal verengt, sodass im folgenden Sommer vier Zuchtlinien in Einzelbeständen angebaut und durch positive Massenauslese selektiert wurden.
- Auch im dritten Jahr wurden die vier Linien weiter durch Selektion mit Blick auf die oben und nachfolgend beschriebenen Eigenschaften verbessert, bis im Herbst durch einen stärkeren Mehltaubefall sich zwei Linien als die deutlich gesünderen erwiesen.
- Im Sommer des vierten Jahres zeigte sich dann eine Linie dem Anbau im Folienhaus mit mehreren Schnitten so gut gewachsen, dass sie als Favorit ausgewählt wurde.
- Im vierten und fünften Jahr war der Züchtungsbestand, neben kleinen Parzellen mit Referenzsorten, auf diese Linie konzentriert und einige ihrer früheren Jahrgänge wurden damit verglichen. Die Selektionsbestände mussten auf diese Weise nicht mehr isoliert werden sondern konnten frei abblühen. Dadurch waren die Samenträger viel gesünder und vitaler, weil das Blühen im Netztunnel nicht gut vertragen wurde.
Erfahrungen in der Rucola-Züchtung
Der Ertrag war in allen Jahren dann gut, wenn der Bestand gesund war. Nach den Erfahrungen im Zuchtgang von LOLA scheinen liegende, sehr langblättrige Typen ungeeignet, weil sie bei Beregnung in sich zusammenfallen und eher krank werden. Auch zum Bündeln und Ernten ist ein leicht verhaltener Wuchs eine gute Hilfe. Zudem können bei nicht zu stark aufrechten Typen mehr Blätter mitgeerntet werden, weil mehr Licht auf die unteren Kränze der Rosetten fällt und diese nicht frühzeitig vergilben. Deshalb ist eine Ertragszüchtung für Rucola eher „verkehrtherum“ – oft ist weniger mehr und kann durch spätes Schießen, dickere Blätter und frohes Nachtreiben ausgeglichen werden. Die Gesundheit der verschiedenen Linien im Vergleich aber schien sich jedoch nicht allein an solche Kriterien wie gute Durchlüftung und schmales Blatt zu halten, sondern scheint davon unabhängig zu sein.
Ein Gesicht, eine einheitliche Erscheinung bei gleichzeitig deutlichen Unterschieden, zeigten die Linien von Anfang an. Die einzelnen Mutterpflanzen prägten sich, trotz des gemeinsamen Abblühens im ersten Jahr, nachhaltig in der Erscheinung aus und waren trotzdem so in sich differenziert, dass eine Verbesserung durch Selektion möglich war. Verglichen mit dem Jahrgang 2015 war der (züchterisch weiterentwickelte) Jahrgang 2020 insgesamt erfreulich dunkler in der Farbe und geordneter in der Form, aufrechter im Wuchs.
Auch der Geschmack war von der Mutterpflanze stark beeinflusst. Weniger gesunde Linien hatten ein „Zuviel“ von Schärfe und waren etwas herber. Gesunde Linien, zu denen auch die Favoritenlinie gehörte, bildeten einen eher milden Geschmack aus. Pflanzen mit Fehlgeschmack wurden bei der jährlichen Selektion ausgesondert.
Eine behördliche Zulassung ist bei dieser Gemüsekultur nicht erforderlich. Die Erhaltungszucht findet seit 2022 durch Annette Tillmanns in der Gärtnerei Piluweri statt. Die Organisation der Vermehrung und der Vertrieb des Verkaufssaatguts obliegen u. a. der Bingenheimer Saatgut AG.
Zielgruppe: Erwerbs- und Hobbyanbau
Rechtlicher Status: Eine behördliche Zulassung ist bei dieser Gemüsekultur nicht erforderlich.
Saatgutanbieter: Bingenheimer Saatgut AG
Züchterin: Annette Tillmanns
Sortenbiografie