Kultursaat - Newsletter August 2016


Liebe Förderer, Interessierte, Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser,

abseits des Straßenverkehrs, zwischen hügeligen Wiesen und unweit vom Bodensee liegt der Ralzhof. Dort fand vom 29. bis 31. Juli das Sommertreffen des Initiativkreises für Gemüsesaatgut aus biologisch-dynamischem und organischem Anbau statt. Zu diesem Anlass pausierten in dem einen oder anderem Kultursaat-Zuchtgarten die Bonituren und Pflegearbeiten, denn auch mancher Züchter suchte den nährenden fachlichen und persönlichen Austausch auf dem Ralzhof.

Im Vorfeld zum Initiativkreis-Sommertreffen fand dieses Jahr ein von AGRECOL veranstalteter Workshop zum Thema Open Source und Saatgut statt. Gemeinsam mit internationalen Teilnehmenden bewegten wir hier unter der Leitung von Johannes Kotschi die Frage, mit welchen rechtlichen Instrumenten Sorten und Saatgut als Gemeingut gegenüber Privatisierung geschützt werden können. Hierzu erfahren Sie im Folgenden mehr, genauso wie über die aktuellen Arbeiten im Zuchtgarten bei Gurken.

Viel Freude beim Lesen

Das Kultursaat-Team

 

 


 

Die Züchterinnen und Gastgeberinnen auf dem Ralzhof: Vera Becher (l.) und Iris Attrot (r.)
(Foto: Marek Thielemann)


Sommertreffen am Bodensee


Vor etwas mehr als dreißig Jahren haben sich biodynamische Gärtner für die Bündelung der Vermehrung samenfester Gemüsesorten zusammengefunden. Diese Gruppe ist der Initiativkreis für Gemüsesaatgut aus biologisch-dynamischem und organisch-biologischem Anbau und trifft sich jährlich im Sommer zum Austausch insbesondere über praktische Fragen. Dieses Jahr fand das Treffen nach 11 Jahren wieder auf dem Ralzhof bei Überlingen statt und zwar vom 29. bis 31. Juli. Damals war dort Brigitte von Wistinghausen züchterisch tätig, heute sind es Vera Becher und Iris Attrot die sich zahlreicher Kulturen angenommen haben wie Fenchel, Tomate, Gurke, Paprika, Salat, Spinat und Lauch.


Der Ralzhof bot den Teilnehmenden einen traumhaften Rahmen, um sich mit diversen Aspekten der Saatgutvermehrung auseinanderzusetzen sowie über aktuelle Projekte bei Kultursaat und der Bingenheimer Saatgut AG informiert zu werden. Eindrucksvoll und abwechslungsreich war auch eine Führung über die Vermehrungsflächen des Keyserlingk-Instituts durch Berthold Heyden: eine inspirierende Einführung in seine anthroposophisch-geprägte Herangehensweise. Sternhimmelsbeobachtungen mit Brigitte von Wistinghausen, Austausch am Lagerfeuer, Volkstanzen und Musik rundeten das Wochenende ab und beglückten Herz und Seele.

 

 


Sorten als Gemeingut


Das Motto „Sorten sind Kulturgut“ begleitet uns bei Kultursaat seit Jahren. Darunter verstehen wir, dass wir unsere Arbeit im kulturellen Kontext und im Strom der über Jahrtausende fortwährenden Kulturpflanzenentwicklung eingebettet sehen.


Sorten sollten unseres Erachtens aber auch ein Gemeingut bleiben und daher nicht für einseitige Profitinteressen privatisiert werden (können) sondern allen Nutzer zugänglich sein und bleiben. Ein Gemeingut benötigt allerdings Gestaltung: Basisgetragene Vereinbarungen und Strukturen sind nötig, die der Nutzergemeinschaft einen nachhaltigen Zugang gewähren. Eine solche Abmachung könnten Open Source Regeln werden, wie z.B. die von AGRECOL entwickelte Open Source Lizenz für Saatgut.


Über diese Thematik haben sich vom 26. bis zum 28. Juli auf dem Hofgut Rengoldshausen 20 Menschen aus Indien, den USA, Venezuela, den Niederlanden, Schweiz und Deutschland im Rahmen eines 2-tägigen Workshops ausgetauscht. Andrew Still und Jack Kloppenburg berichteten über den Open Source Versprechen (engl. „pledge“), das sie in den USA bereits zur Abgabe von Saatgut verwenden. Diese Vereinbarung erlaubt Dritten ausdrücklich, das Saatgut nicht nur auszusäen, sondern daraus zu vermehren und die Pflanzen auch züchterisch weiterzuentwickeln. An diese Freiheiten ist die Bedingung geknüpft, dass entsprechend gewonnenes Saatgut ebenfalls unter dem Pledge verbreitet wird... das Prinzip entfaltet eine „virale“ Wirkung. In Venezuela wurde am 23. Dezember 2015 eine neue Saatgutgesetzgebung verabschiedet, die sowohl genmanipuliertes Saatgut als auch Patente auf Leben verbietet. Darüber berichtete Ana Felicién vom Venezolanischen Forschungsinstitut (Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas). Diese außerordentlich fortschrittliche Neuerung soll durch eine staatlich anerkannte Open Source Lizenz erweitert werden. Auch für Europa wurden Ideen und Konzepte für eine Open Source Lizenz vorgestellt und diskutiert, denn auch hierzulande sind angesichts der heutigen Patentierungspraxis Alternativen und „geschützte Räume“ notwendig.

 

 

 


 

Ob in Groß- oder Kleingruppen wurde während des Workshops heiß diskutiert.



 

Verschlusssache: Die Fruchtblüte der Gurke wird mit Klammern vor ungewollter Pollenübertragung durch Insekten geschützt


 

Gewürzgurken: Früchte zur Bonitur ausgelegt.


Gurken im Hochsommer


Für Gurkenzüchter ist Hochsommer die Zeit der Handbestäubungen. Nach aufwendigen Bonituren und Auswertungen der Daten über Erntemengen, Geschmack, Gesundheit und äußere Merkmale werden die Pflanzen für die Weiterzucht ausgesucht und zum schnellen Auffinden im Bestand gut sichtbar markiert.

Damit noch im selben Jahr Saatgut gewonnen werden kann und so ein „Züchtungsfortschritt“ festzuhalten möglich wird, müssen bis Mitte August die Handbestäubungen der Elitepflanzen untereinander durchgeführt worden sein. Dafür werden am Abend noch ungeöffnete Pollen- und Fruchtblüten mit Klammern verschlossen, um Insektenbestäubung auszuschließen. An den darauffolgenden ein bis zwei Tagen werden dann die Pollen einer Pflanze auf die Blütennarbe einer ausgewählten anderen Pflanze vorsichtig übertragen.

Um genügend Saatgut und die erwünschte Zuchtrichtung zu erhalten, wiederholen die Züchter das Vorgehen mehrmals, denn ob die Bestäubung erfolgreich war, wird sich erst im Herbst beim Öffnen der ausgereiften Früchte zeigen.

 

 


Termine


Züchtungs- und Sortentage

Am 24. August findet in der Gärtnereigemeinschaft Hofgut Letten in Bad Heilbrunn der erste diesjährige Züchtungs- und Sortentag statt; am 7. September folgt der zweite in der Gärtnerei Duftgarten in Hüllhorst. Vielfältige Vergleichsanbauten ermöglichen dort, sich über neue biodynamische, samenfeste Sorten zu informieren, die aktuelle Entwicklung der ökologischen Gemüsezüchtung mitzuerleben und sich mit Kollegen auszutauschen. Weitere Informationen finden Sie auf unserem Flyer und im Video.



Vortrag über Gemüsezüchtung

Am 27. August ist Sommerfest auf dem Gärtnerhof Röllingsen. In diesem Rahmen wird Michael Fleck einen Vortrag halten unter dem Titel „Saatgut und Züchtung – Business von Global Playern aber auch Chance zum eigenen Handeln“.



Tomatenfachtag

Am 30. August findet ein Tomatenfachtag mit Schwerpunkt ökologische Züchtung in der Oldendorfer Saatzucht statt: Übersicht und Austausch im Bereich Bio-Tomaten. Weitere Informationen finden Sie hier.